Den Zustand erfassen und beurteilen, Sanierungen planen und umsetzen
Voraussetzung für den gesicherten Betrieb von Kanal- und Trinkwassersystemen ist eine umfassende Kenntnis des Leitungsnetzes. Mittels verschiedener Prüfmethoden kann der Zustand der Leitungen erfasst und im nächsten Schritt auch beurteilt werden. Für die Umsetzung der notwendigen Sanierungsmaßnahmen müssen gesetzliche, technische und wirtschaftliche Anforderungen berücksichtigt werden.
Zustandserfassung & -beurteilung
Alles auf einen Blick haben: Kataster und Leitungsinformationssysteme
Voraussetzung für den gesicherten Betrieb von Kanal- und Trinkwassersystemen ist eine umfassende Kenntnis des vorhandenen Leitungsnetzes. In digitalen Leitungsinformationssystemen sind Anlagen‑, Betriebs- und Leitungsdaten systematisch erfasst. Sie sind daher ein wichtiges Hilfsmittel für die Planung von Instandhaltungsmaßnahmen. Auch Inspektions- und Sanierungsmaßnahmen sind darin zu dokumentieren.
Zustandserfassung: Wie schaut’s da unten denn aus?
Eine regelmäßige Wartung und Inspektion der Systeme ist erforderlich, um eine sichere Funktion der Netze zu gewährleisten. Dafür gibt es bei Trinkwassernetzen und Abwasserkanälen unterschiedliche Prüfmethoden. Im Kanalnetz sind Begehungen oder Befahrungen mithilfe ferngesteuerter Kameras sowie Dichtheitsprüfungen möglich. Bei Trinkwassernetzen ist beispielsweise eine kontinuierliche Überwachung von Verbrauchsmengen sinnvoll. Zudem können regelmäßige Druck- und Durchflussmessungen (z.B. mit mobilen Durchflussmessgeräten) Aufschluss über den Zustand der Leitung geben.
Zustandsbeurteilung: Wo ist Handlungsbedarf?
Die Inspektionsergebnisse dienen als Basis für die Beurteilung des Zustands. So kann auch die Dringlichkeit von Sanierungen bestimmt werden. Bei Trinkwassernetzen kann mithilfe statistischer Daten zum Alterungs- und Versagensverhalten verschiedener Leitungsmaterialien die Ausfallswahrscheinlichkeit einer Leitung abgeschätzt werden.
Ergebnisse zum Zustand der Kanalisation (Datenstand 2018)
Die TU München untersuchte in einer Studie den Zustand der bayerischen Kanalnetze – mit folgendem Ergebnis:
- der Anteil der schadhaften Kanäle steigt kontinuierlich an, mittlerweile beträgt er 20% (ca. 18.000 km) – fast 5% mehr als 2012
- noch immer sind bei 11.400 km Kanälen keinerlei Überprüfungen auf den Zustand durchgeführt worden
- auch fehlt bei fast 25% der Betreiber ein Kanalnetzkataster, welches eine Voraussetzung für einen ordnungsgemäßen Betrieb und Unterhalt des Kanalnetzes ist
Sanierungsplanung und Umsetzung
Besteht Sanierungsbedarf, muss der Betreiber unter Beachtung gesetzlicher, technischer und wirtschaftlicher Anforderungen ein Sanierungskonzept erstellen. Ein gutes Konzept hilft, Kosten zu sparen. Schwerwiegende Mängel sind rasch zu sanieren – leichte Schäden können längerfristig behoben werden. Auf lange Sicht kann es jedoch wirtschaftlicher sein, den Umfang der Sanierungen zu vergrößern.
Sanierungskonzept mit Maßnahmenplanung
Das Sanierungskonzept gibt der Gemeinde einen Überblick über anstehende Maßnahmen. Anhand des Konzepts lassen sich:
- Sanierungsmaßnahmen und deren Reihenfolge festlegen,
- die dafür nötigen finanziellen Mittel bestimmen und begründen,
- die Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar darstellen
- die geplanten Maßnahmen mit den beteiligten Stellen, beispielsweise dem Wasserwirtschaftsamt abstimmen und
- weitere Beteiligte (z.B. Straßenbau) einbinden.
Zunächst werden für die festgestellten Schäden die Sanierungsart und die voraussichtlichen Kosten bestimmt. Dabei muss berücksichtigt werden, dass unterschiedliche Sanierungsarten auch verschiedene Nutzungsdauern zur Folge haben. Zum Beispiel können momentane Mehrkosten für eine teurere Sanierungsart durch eine längere Nutzungsdauer langfristig sogar zu Einsparungen führen. Im Sanierungskonzept sollte daher ein Kostenvergleich durchgeführt werden, der die Nutzungsdauer miteinbezieht.
Sanierungsarten
Es gibt zahlreiche Verfahren für die Sanierung von Leitungen und Schächten. Die Tiefbaukosten können beim Rohrleitungsbau einen wesentlichen Bestandteil ausmachen. In dicht besiedelten Gebieten können die Kosten für die Oberflächenwiederherstellung bis zu 50 Prozent der Gesamtkosten betragen. Grabenlose Verfahren zur Sanierung oder Erneuerung von Rohrleitungen sind daher für Betreiber interessante Alternativen, die Vorteile und auch ein Einsparpotenzial zur Folge haben können.
Folgende Faktoren beeinflussen die Wahl des Bauverfahrens:
- Örtliche Randbedingungen,
- Umweltschutzbestimmungen (z.B. Verbot der Grundwasserabsenkung)
- Vertragliche Bedingungen
- Einsatzmöglichkeiten von Hebe- und Baugeräten (Platz für Baustelleneinrichtung),
- die zur Verfügung stehende Bauzeit,
- Vorgaben durch technische Normen, Richtlinien und Unfallverhütungsvorschriften,
- Vorschriften, die Sicherheit und Gesundheit betreffen,
- Konstruktion, Geometrie und Besonderheiten des Bauvorhabens.
- Garmisch-Partenkirchen: Sanierung einer Trinkwasserleitung mit Close-Fit Lining
- Garten- und Tiefbaubetriebe Lindau: Janssen Process Riss- und Scherbensanierung
- Stadtwerke München: Hohe Verkehrslast und starkes Gefälle – Leitungssanierung extrem
- Achengruppe: Neue Leitung mit der Erdrakete
- Lohr am Main: 1,4 km Sanierung machte gesamtes Kanalnetz deutlich dichter
Einbindung von Anschlusskanälen und Grundstücks- entwässerungsanlagen
Bei der Kanalisation haben Anschlusskanäle und Grundstücksentwässerungsanlagen (GEA) zum Teil einen hohen Anteil an der Gesamtlänge des Leitungsnetzes, so dass sich deren Schäden auch negativ auf den Betrieb der öffentlichen Kanalisation auswirken. Bei Sanierungsmaßnahmen ist es daher im Interesse des Betreibers, auch die Grundstücksbesitzerinnen und Grundstücksbesitzer einzubeziehen.
Das im Gebäude anfallende Abwasser wird in der Grundstücksentwässerungsanlage gesammelt, abgeleitet und über den Grundstücksanschluss dem öffentlichen Sammelkanal zugeführt. Fehlerhaft ausgeführte oder schadhafte Hauskanäle und –anschlüsse sind oft die Quelle von Fremdwassereintritt in das öffentliche Kanalnetz. Ein mit den Anliegern abgestimmtes, gemeinsames Vorgehen für das gesamte Entwässerungssystem bei der Prüfung und bei Sanierungsmaßnahmen ist deshalb sinnvoll.
Mittels Bürgerversammlungen, Informationsmaterial und persönlicher Beratung können betroffene Grundstückseigentümer informiert und eingebunden werden. Maßnahmen, wie eine koordinierte Kamerabefahrung der GEA in einem Gebiet, können zum Erfolg des gesamten Sanierungsvorhabens beitragen. Wenn der Kanalnetzbetreiber nicht über ausreichende personelle Kapazitäten verfügt, kann auch ein erfahrenes Ingenieurbüro hinzugezogen werden.
Hilfreiche Informationen
RAL-Gütesicherung Kanalbau
Die RAL-Gütesicherung Kanalbau hilft geeignete Auftragnehmer für die Prüfung oder Sanierung von Kanälen zu finden. Wenn qualitätsbewusste Auftraggeber auf fachkundige und zuverlässige Unternehmen treffen, sind erfolgreiche Kanalprüfungen und ‑sanierungen die Regel. Auftraggeber müssen daher vor der Vergabe die Eignung der Bieter und Dienstleister prüfen, besonders in Hinblick auf die Fachkunde. Der Eignungsnachweis wird z.B. durch die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB Teil A) gefordert. Hier heißt es, dass Bauleistungen an „fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen zu vergeben“ sind und die „Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit“ zu prüfen ist. Bei dieser Aufgabe kann der Auftraggeber auf das System der RAL-Gütesicherung Kanalbau zurückgreifen.
In der Gütegemeinschaft Kanalbau stimmen Auftraggeber und Auftragnehmer das Anforderungsprofil für die fachliche Eignung der ausführenden Unternehmen regelmäßig gemeinsam ab. Die in den Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 961 definierten Anforderungen richten das Augenmerk u.a. auf die Erfahrung und Zuverlässigkeit des Unternehmens, die Qualifikation des Personals, die Beherrschung von Technik und Geräten, den Einsatz von Nachunternehmern und die Eigenüberwachung. Die Anforderungen werden in unterschiedliche Beurteilungsgruppen unterteilt (z.B. „Gruppe I“ für Inspektion, „Gruppe D“ für Dichtheitsprüfung und „Gruppe S“ für grabenlose Sanierung).
Heute machen mehr als 3.000 Vergabestellen das Anforderungsniveau RAL-GZ 961 bei ihren Vergaben zur Voraussetzung und prüfen die Erfüllung der Anforderungen z. B. über das Gütezeichen Kanalbau. Ein Mustertext zur Gütesicherung, der nach vergaberechtlicher Prüfung von der Mehrzahl der Vergabestellen verwendet wird, steht auf www.kanalbau.com.
DVGW Arbeitsblätter Wasserversorgung
Zu den Grundlagen einer sicheren Wasserversorgung gehört auch die technisch einwandfreie Verlegung der Rohrleitungen. Die Versorger können den gestellten Aufgaben nur gerecht werden, wenn mit der Errichtung und Instandsetzung von Rohrleitungsanlagen kompetente, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen beauftragt werden. Als Nachweis einer solchen Qualifikation haben sich die Zertifizierungen nach den DVGW-Arbeitsblättern GW 301 und GW 302 in der Vergabepraxis bewährt.
Das Arbeitsblatt GW 301 gilt für Unternehmen, die Wasserversorgungssysteme in offener Bauweise errichten, Instand setzen und einbinden. Das Arbeitsblatt GW 302 beschreibt die Anforderungen für grabenlose Neuverlegungen (z. B. Spülbohrverfahren) oder grabenlose Rehabilitationsverfahren (z. B. PE-Relining). Der wesentliche Inhalt der Zertifizierung bezieht sich auf die Fachkompetenz und Qualifikation des eingesetzten Personals, das betriebliche Qualitätsmanagement sowie die Einhaltung geltender Vorschriften. Außerdem wird die Geräteausstattung und Ausführungsqualität der Arbeiten geprüft. Anhand geeigneter Referenzen wird die erforderliche Erfahrung des Unternehmens nachgewiesen. Ein zertifiziertes Fachunternehmen dokumentiert damit Kompetenz und fachliche Eignung.
Ein Auftraggeber, z. B. ein Versorgungsunternehmen, kann sich im Rahmen einer Auftragsvergabe auf das DVGW-Zertifikat verlassen, ohne die Qualifikation des Fachunternehmens im Einzelnen prüfen zu müssen. Von einem zertifizierten Unternehmen ist zu erwarten, dass die Arbeiten an in Betrieb befindlichen Leitungen hinsichtlich des Umgangs mit dem Medium Trinkwasser mit gebotener Sorgfalt und erforderlicher Kenntnis ausgeführt werden. Dennoch sind der Bauherr bzw. ein ggf. beauftragtes Ingenieurbüro nicht von ihren Pflichten wie z. B. im Rahmen der Bauoberleitung und der örtlichen Bauüberwachung entbunden.
Aktionsgemeinschaft "Impulse pro Kanal"
Die Aktionsgemeinschaft “Impulse pro Kanal” (eine Kooperation verschiedener Verbände und Organisationen zur Förderung von Wasserver- und ‑entsorgungsanlagen) verfasst seit 2012 regelmäßig Fordungskataloge zum Thema. In der 2017 erschienenen Auflage liegt der Fokus auf der Inspektion, Sanierung und Erneuerung von öffentlichen und privaten Abwasseranlagen. Der Forderungskatalog informiert Bürgerinnen und Bürger sowie Verantwortliche aus den Kommunen und Politik über die Notwendigkeit von Kanalsanierungen. Zu den Schwerpunkten der Broschüre zählen u.a. die Betrachtung des ganzheitlichen Systems der Kanäle, die Beratung der Bevölkerung bei Sanierungen von Abwasseranlagen, die Durchführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie neue Themen wie Abwasser-Benchmarking und Schutz vor Starkregenereignissen.
LfU-Infoblatt "Private Abwasserleitungen prüfen und sanieren"
Das Bayerische Landesamt für Umwelt hat in seinem Infoblatt „Private Abwasserleitungen prüfen und sanieren“ leicht verständliche Hinweise für Bürgerinnen und Bürger zusammengestellt. Die Kanalnetzbetreiber können diese Broschüre gerne nutzen, um Ihre Anschlussnehmer grundsätzlich über das Thema Instandhaltung von Grundstücksentwässerungsanlagen zu informieren.
Kommunalregie vs. Anliegerregie
Die Grundstückseigentümer sind für den Bau, Betrieb, die Inspektion und den Erhalt der Grundstücksentwässerungsanlage selbst zuständig. Der genaue Verantwortungsbereich reicht je nach Satzung des Betreibers unterschiedlich weit. Bei der „Kommunalregie“ wird der Grundstücksanschluss vom Kanalnetzbetreiber betrieben und unterhalten.
Bei der „Anliegerregie“ ist der Grundstückseigentümer dagegen in der Regel auch für den gesamten Grundstücksanschluss bis zum öffentlichen Sammelkanal zuständig . Bei der „gemischten Regie“ teilen sich der Netzbetreiber und der Grundstückseigentümer die Verantwortung für den Anschlusskanal. Der Netzbetreiber ist vom Sammelkanal bis zur Grundstücksgrenze und der Grundstückseigentümer von der Grundstücksgrenze bis zum Revisionsschacht zuständig.
Da das gesamte Entwässerungssystem eine Einheit bildet, sind bei Sanierungsmaßnahmen auch Schächte, Grundstücksanschlüsse und möglichst auch Grundstücksentwässerungsanlagen einzubeziehen. Die Schaffung von Bewusstsein für die Instandhaltungspflicht (inklusive Wartung) der Liegenschaftseigentümer ist besonders wichtig. Da dem Grundstückseigentümer häufig das Fachwissen fehlt, kann der Betreiber hier Unterstützung anbieten.